Diese Redensart taucht erstmals im 15. Jahrhundert auf, nimmt aber erst im 17. Jahrhundert stark im Gebrauch zu. Sie gehört also zu den Neubildungen des Humanismus, die uns in die Zeiten des Ritterturniers zurückversetzen. Wörtlich genommen besagt sie, dass ein Kämpfer, der die Genossen verlässt, diese im Stich des Feindes lässt. Auch der Turnierritter, dem der Knappe nicht "die Stange hält", wird "im Stich" des Siegers (und damit in der Lebensgefahr) alleingelassen. Die in allen Verwendungen anzutreffenden Komponenten des Notfalls, der Gefahr und (wenn von Personen ausgesagt) der Verantwortungslosigkeit lassen kaum andere Deutungen zu. Höchstens kann ihre späte Belegbarkeit noch mit dem Aufkommen bürgerlicher Turnierarten in Verbindung gebracht werden, die noch heute in regionalen Formen als Fischerstechen oder Gesellenstechen erhalten sind. Andere vorgeschlagene Deutungen sind demgegenüber ganz unwahrscheinlich. So hat etwa Luther interpretiert, dass die Biene mit ihrem Stachel auch das Leben im Stich lässt und andere haben an die unvollendete Näharbeit gedacht, die abends bis zum nächsten Tag "im Stich" gelassen wird. Gegen die diese Deutungshypothese spricht, dass es die Redensart auch im Schwedischen gibt; dort gibt es aber zwei verschiedene Wörter für den Stich durch ein Messer (oder Insekt) und den Stich beim Nähen. In der Redensart wird ersteres verwendet. Daneben wird noch diskutiert, dass Stich auch regional als Wort für eine steile Wegstrecke gebräuchlich ist, so dass früher wohl gelegentlich ein Fuhrmann seinen Wagen vorübergehend im Stich lassen musste, um sich zusätzliche Gespannpferde zu besorgen. Ob diese Deutung "hieb- und stichfest" ist, sei dahingestellt.