Willkürlich und unerlernbar"
"Allgemeinbildend", aber nicht unbedingt "allgemein verständlich": Von morgen an treten die Änderungen der umstrittenen Rechtschreibreform endgültig in Kraft. Doch deren Gegner kritisieren das "Durcheinander" im neuen Duden.
Frankfurt/Main - Mit einem Jahr Verspätung wird am 1. August die überarbeitete Rechtschreibreform verbindlich für Schulen und Behörden eingeführt. Von Dienstag an müssen Schüler dann beispielsweise wieder mit "Blauen Briefen" statt "blauen Briefen" rechnen. Acht Jahre nach der ursprünglichen Einführung der Änderungen beteiligen sich nun alle Bundesländer an der Reform, auch Bayern und Nordrhein-Westfalen, die 2005 zunächst ausgeschert waren. Um Schülern genug Zeit zu geben, sich an die Regeln zu gewöhnen, werden die Neuerungen in einer einjährigen Übergangsfrist bei der Notengebung noch nicht berücksichtigt werden.
Reformgegner wie Springer- und SPIEGEL-Verlag haben dagegen entschieden, sofort wieder in den reformierten Schreibweisen zu erscheinen. Lediglich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) will zunächst weiter an der "klassischen" Rechtschreibung festhalten. Man werde einige Monate abwarten und die unterschiedlichen Wörterbücher vergleichen, bevor eine Entscheidung gefasst werde, hieß es bei der Tageszeitung.
Nachdem der nach jahrelangem Streit eigens dafür eingesetzte Rat für deutsche Rechtschreibung Änderungsvorschläge an der Reform ausgearbeitet hatte, hatte die Kultusministerkonferenz im März deren Inkrafttreten zum 1. August beschlossen. Die Änderungen betreffen Bereiche der Groß- und Kleinschreibung, der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Zeichensetzung und die Worttrennung am Zeilenende. Keine Änderungen gibt es dagegen in den Bereichen Laut-Buchstaben-Zuordnungen sowie bei der Schreibung mit Bindestrich. Ab sofort schreibt man nun beispielsweise wieder "abwärtsfahren" und "eislaufen" statt bisher "abwärts fahren" und "Eis laufen"; feste Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv können wieder groß geschrieben werden ("Gelbe Karte" statt bisher "gelbe Karte"), und in Briefen darf es wieder "Du" und "Ihr" heißen. Bei der Reihung von Nebensätzen, die durch "und", "oder", "beziehungsweise", "entweder - oder", "nicht - noch" oder durch "weder - noch" verbunden sind, ist es erlaubt, kein Komma mehr zu setzen. Die Abtrennung von Einzelvokalen am Wortanfang oder -ende - wie E-sel, Feiera-bend, Bi-omüll - wird in Zukunft prinzipiell ausgeschlossen.
Gegner monieren "gravierende Mängel"
Trotz der teilweisen Rücknahme der neuen Regeln, sind die Gegner der Reform alles andere als zufrieden: "Die Rechtschreibreform hat in zehn Jahren nichts gebracht als Milliardenkosten, dauerhafte Verwirrung und ständigen Ärger beim Schreiben und Lesen", sagt Friedrich Denk, Deutschlehrer aus Weilheim und Initiator der "Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform" vom Oktober 1996. Die Reform entwerte alle Bücher in der bisherigen Rechtschreibung, die Schülern ab jetzt verboten sei.
Auch die Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS) kritisierte den Rat für deutsche Rechtschreibung. Ihm habe es "an Mut und Willen gefehlt", unbrauchbare Regeln aufzuheben. "Die neue Orthografie des 'Sowohl-als-auch' kann allenfalls in einem langwierigen Lernprozess wieder zu durchgängig sprachrichtigen, intuitiv beherrschbaren und damit auch allgemein akzeptierten Schreibweisen führen", erklärte die FDS, der Schriftsteller wie Walter Kempowski, Adolf Muschg und Reiner Kunze angehören.
Auf massive Kritik bei den Reformgegnern stoßen auch die neuen Wörterbücher, in denen das Regelwerk umgesetzt wurde. Bei der FDS hieß es nach deren Prüfung: "Auf dieser Grundlage ist der vorschnell ausgerufene Rechtschreibfrieden nicht zu gewinnen". Die Empfehlungen der Duden-Redaktion trieben die sprachliche Verunsicherung auf die Spitze, so die FDS weiter. Sie seien "willkürlich und unerlernbar". Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt begrüßte zwar die Überarbeitung der Reform, monierte aber, dass das Ergebnis noch "so viele gravierende Mängel" enthalte, dass auf ihrer Basis die Wiederherstellung einer überwiegend einheitlichen Schreibung nicht gelingen könne. Reformgegner Denk empfahl, "die unendliche Geschichte Rechtschreibreform nach Möglichkeit zu ignorieren" und bei der klassischen Rechtschreibung zu bleiben. Sie sei viel stabiler und brauchbarer als das "Reformdurcheinander".
Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,429429,00.html